#032: »Wie soll ich da bitte 1,5m einhalten?«

📅 April 2021   🏛️ Staatsanwaltschaft Stuttgart   💬 9 Kommentare Kommentar schreiben

Am 1. April 2021 ereignete sich auf der Böblinger Straße in Stuttgart ein Vorfall, der beispielhaft zeigt, wie Radfahrende im Straßenverkehr gefährdet – und im Nachgang von den Behörden im Stich gelassen – werden.


Eine Autofahrerin überholte gegen 18:04 Uhr einen Radfahrer auf der engen Fahrbahn in Richtung Innenstadt. Das von ihm eingereichte Video zeigt eindeutig: Der Überholvorgang erfolgte mit einem äußerst geringen Seitenabstand. Damit verstieß die Fahrerin klar gegen die Straßenverkehrsordnung, die in solchen Situationen einen Mindestabstand von 1,5 Metern vorschreibt.

Enges Überholen: kein „Kavaliersdelikt“

Für Radfahrende ist solches Verhalten brandgefährlich. Wer im dichten Verkehr ohne ausreichenden Abstand überholt wird, hat kaum Möglichkeiten zur Reaktion:

  • Ein kleiner Schlenker, etwa wegen eines Schlaglochs oder einer Tür, die sich öffnet, kann lebensbedrohlich enden.
  • Der Luftsog eines Autos, das dicht vorbeirauscht, destabilisiert das Fahrrad.
  • Psychische Belastung: Radfahrende erleben diese Situationen als massiven Stress, der das Vertrauen in die Verkehrssicherheit zerstört.

Dass die Staatsanwaltschaft das Manöver zwar als „grob verkehrswidrig und rücksichtslos“ einstuft, aber nicht als konkrete Gefährdung anerkennt, ist ein Skandal.

Staatsanwaltschaft Stuttgart Staatsanwaltschaft Stuttgart, 70049 Stuttgart Datum 16.06.2021 Herrn Name Durchwahl Tel. 0711 921 Fax. 0711 921 Aktenzeichen (Bitte bei Antwort angeben) Ermittlungsverfahren gegen wegen Straßenverkehrsgefährdung Sehr geehrter Herr in dem oben genannten Verfahren habe ich mit Verfügung vom 15.06.2021 folgende Entschei- dung getroffen: Das Ermittlungsverfahren wird gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Das Verfahren wird gemäß § 43 OWIG zur Verfolgung der Ordnungswidrigkeit(en) an die Verwal- tungsbehörde abgegeben. Gründe: Der Beschuldigten liegt zur Last, am 01.04.2021 gegen 18:04 Uhr auf der Böblinger Straße in Stuttgart in Fahrtrichtung Innenstadt als PKW-Lenkerin den Radfahrer Dr in grob verkehrswidriger und rücksichtsloser Weise überholt zu haben, obwohl die Fahrbahnbreite an dieser Stelle offensichtlich nicht ausreichend war, um beim Überholen einen ausreichenden Sei- tenabstand einzuhalten und hierdurch den Anzeigeerstatter gefährdet zu haben. Die Beschuldigte überholte, wie sich aus den vom Anzeigeerstatter vorgelegten Videoaufzeich- nungen zweifelsfrei ergibt, mit einem äußerst geringen Seitenabstand. Dieser Überholvorgang kann zweifellos als grob verkehrswidrig und rücksichtslos eingestuft werden. Es kann jedoch nicht mit der für eine Anklageerhebung erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden, dass der Anzeigeerstatter durch dieses Überholmanöver konkret gefährdet war. Der Anzeigeerstatter

Die fatale Logik der Entscheidung

Die Begründung: Der Radfahrer sei nicht ausgewichen, habe nicht bremsen müssen und sei nicht gestürzt – also habe keine „konkrete Gefährdung“ vorgelegen. Mit anderen Worten: Nur wenn es kracht, liegt Gefahr vor.

Diese Haltung ist brandgefährlich. Sie ignoriert, dass Radfahrende im Straßenverkehr nicht erst dann gefährdet sind, wenn es zur Kollision kommt. Der Gesetzgeber fordert Mindestabstände nicht aus Spaß, sondern weil genau solche Situationen tödlich enden können.

Ein Schlag ins Gesicht der Verkehrssicherheit

Die Herabstufung zur bloßen Ordnungswidrigkeit vermittelt ein fatales Signal: Enges Überholen wird verharmlost, Radfahrende fühlen sich schutzlos. Anstatt die bestehenden Regeln konsequent durchzusetzen, wird ihre Missachtung relativiert – auf Kosten der Schwächeren im Straßenverkehr.

ℹ️ Bitte beachte, dass die gemeldeten Fälle nicht vollumfänglich überprüft werden können. Es liegt außerhalb meiner Möglichkeiten, die Richtigkeit aller Informationen zu verifizieren.

Fall aus

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9 Antworten

  1. Steven

    Krasser Überholvorgang im Millimeter-Bereich und unglaublich unsinnige und angreifbare Argumentation des Amtsanwaltes.

    Der Radfahrer zeigte beim Vorgang eine klare Schreckreaktion, wich aber nicht aus.
    Diese Tatsache, dass er eben nicht zur Seite fuhr, wird als Argument dafür genutzt, dass keine Gefährdung bestanden habe.

    Ich halte das für eine problematische Argumentation, und zwar aus folgendem Grund:
    Ein Radfahrer kann nicht einfach gerade zur Seite ausweichen. Um mit einem einspurigen Fahrzeug die Richtung zu ändern, muss er physikalisch bedingt zunächst leicht in die entgegengesetzte Richtung lenken, also in diesem Fall zunächst in Richtung des überholenden Fahrzeugs. Erst dann ist eine Kurvenbewegung zur Seite möglich.
    Dieser sogenannte „Schlenker“ ist unvermeidbar – gerade bei niedriger Geschwindigkeit, wie sie innerorts üblich ist.

    Ein Ausweichen wäre also nur unter Inkaufnahme eines Zusammenstoßes möglich gewesen. In meinen Augen zeigt das, dass es sich nicht mehr um einen Bagatellverstoß gehandelt hat, sondern um eine konkrete Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit des Radfahrers.

    Daher erscheint es mir nicht gerechtfertigt, diesen Vorfall lediglich als einfache Ordnungswidrigkeit zu bewerten. Der entscheidende Punkt ist:
    Nur weil der Radfahrer nicht ausgewichen ist, ist der Unfall ausgeblieben – nicht, weil keine Gefahr bestand.

  2. Wilhelm Schwarz

    Vorab, hätte der Autofahrer sich entschuldigt und seinen Fahler eingesehen , hätte der Radfahrer sicherlich auch keine Anzeige gestellt. aber was die Stattsanwaltschaft sich dann geleistet hat kann man entweder unter große Faulheit der Statsanwaltschaft nennen oder alsStrafvereitellung in Amt ansehen. Große Faulheit liegt vor, wenn man bedenkt es exestiert ein Bauplan von der Straße in der genau steht wie Breit die die Fahrbahnen Straße sind und der Fahrradschutzstreifen ist. Man kann anhand des Fahrzeugmodels genau feststellen wie breit das Fahreug ist welches überholt hat und welche rechts Parken und das Fahrread hat eine gewisse Breite. Somit läst sich wunderbar ausrechnen, ob ein gefahrloses überholen überhaupt erst einmal möglich gewesen wäre. Oder man kann es auch als Strafvereitellung im Amt ansehen, denn durch die Videoaufnahmen kann ein Sachverständiger wunderbar errechnen mit welchen Abstand der Radfahrer ungefähr überholt wurde. Müssen erst noch mehr Radfahrer schwer Verunglücken bis solche Fälle geandet werden? Oder sind Radfahrer für die Stattsanwaltschaft in Deutschland immer noch Verkehrsteilnehmer 2. Klasse?

  3. Martin Schäfer

    Aufgrund von fragwürdigen Entscheidungen wie dieser wird zu enges Überholen noch immer zu häufig nicht einmal wahrgenommen. Die Sensibilisierung der motorisierten Verkehrsteilnehmer kann nur durch Überwachungs- und somit auch Anzeigendruck erfolgen.
    Ein weißes Fahrrad am Straßenrand ist vermeidbar und kann nicht der einzige Auslöser zu sein, hier zu handeln.

  4. Luuk

    Da sieht man leider mal wieder sehr gut das Grundproblem. Die Option, _nicht_ zu überholen, gibt es im Gehirn mancher Autofahrer gar nicht. Sie _müssen_ überholen. Das ist eine Zwangshandlung. Und Menschen, die diesen Zwang haben bzw. nicht unterdrücken können, sind nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet. Aber, wie es mal ein Polizist zu mir sagte, „Dann müssten wir ja 90% der Autofahrer den Lappen wegnehmen.“ Ja, müssten wir eigentlich. Aber dann funktioniert unsere Gesellschaft erstmal nicht mehr. Also wird das Problem ignoriert.

    Und die Staatsanwaltschaft begeht wieder mal Strafvereitelung im Amt. Da kann ich verstehen, dass man in den sozialen Medien öfters mal „Spiegel abtreten und abhauen“ als Empfehlung liest. So endet es, wenn der Staat versagt.

  5. Ulrich Eckhardt

    Ich bin der Meinung, dass hier bereits eine Körperverletzung statt fand. Dazu muss nicht unbedingt Blut fließen, der extreme Stress den dieses egoistische Manöver verursacht hat hört man denke ich recht deutlich an der Stimme des Radfahrenden. Mich suchen derartige Geschehnisse immer im Traum heim und rauben mir den Schlaf. Das sind reale Schäden die dort verursacht worden sind und diese sollten nicht ignoriert werden.

  6. Bernd Philipp

    wer so überholt spieltarrogant, vorsätzlich und dreist mit der Sicherheit der Radfahrer, bewusst oder unbewusst.

    Lieber Staatsanwalt,
    diese Gedankenlosigkeit ist aus den oben genannten Gründen WIRKLICH (Kannste glauben!) äußerst unangenehm (euphemistisch ausgedrückt).
    Als Radler hat man in so einer Situation keine Wahl als starr den Lenker zu halten und hoffen, dass es nochmal gut ausgeht.
    Was soll diese Einstellung des Verfahrens? es ist ein Vergehen nach Paragraph 315 StGB in dem zu gefährlichen Überholvorgängen steht:“…und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

    „wird bestraft“ heißt nicht „kann bestraft werden“. Ich verstehe es nicht, dass man das Verfahren einstellt!

    Ihre Handlung, lieber Staatsanwalt, fördert wie oben erwähnt Reflexe der Selbstjustiz! Durch solch ein Rechtsverständnis fördern Sie (hoffentlich unbeabsichtigt) die Delegitimierung staatlicher Institutionen. und damit bilden Sie (hoffentlich unbeabsichtigt) einen Kondensatinskeim antidemokratischen Verhaltens.
    Warum kann man zum Schluss kommen, dass keine kongrete Gefährdung vorlag? der Abstand war zu gering, wie können Sie ausschließen, dass der Radler nicht durch ein plötzlich eintretendes technisches Porblem (Kette reißt, …) unwillkürlich eine Pendelbewegung macht?
    Wenn sie zu viel Arbeit haben und denken, die würde durch Abgabe an die OWi-Behörde weniger, dann glaube ich Sie irren; und dass das Gegenteil der Fall ist.

  7. John Doe

    Ich wurde schon wegen Körperverletzung verurteilt, ohne jemanden verletzt zu haben.

    Das hier kann potentiell tödlich enden und hier gibt es keine Konsequenzen?

    Das ist an Ignoranz Menschenleben gegenüber kaum zu überbieten!

  8. Markus Heigl

    Ich habe ein absolutes Interesse, dass der Fall im Sinne der Verkehrssicherheit weiter verfolgt wird und die dafür Vorgesehenen Maßnahmen der Behörden ergriffen werden

  9. WuhletalRadler

    Das ist doch einfach nur noch Strafvereitelung im Amt.
    Liebe Staatsanwaltschaft, wenn ihr weiter die Augen zu haltet, wird es a mehr Tote und Verletzte im Straßenverkehr geben und als Reaktion auf die fehlende Sanktionierung, was könnte wohl die Folgen sein? Selbstjustiz! Wollt ihr das? Auge und Auge Zahn um Zahn?
    Mich ein Autofahrer versucht mich zu killen? Dann verprügel ich ihn halt, damit er es lernt? Ist es das was Ihr wollt? Ich hoffe nicht, aber aktuell sind wir in diesem Bereich so weit von einem Rechtsstaat, dass man einfach nur vom Glauben abfällt.
    Der Fall ist doch klar, der Autofahrer hat zugegeben das er bewusst!!! mit weniger als 1,5 überholt hat, sorry da gibt es nichts zu verhandeln. Straftat + Schuldeingeständniss, da muss man nur noch das Strafmas festlegen und fertig ist die Nummer.
    Und lieber Staatsanwalt wenn das keine Gefährdung war, dann komm wir stellen die Szene nach, mal sehen ob Sie dann immer noch so denken.

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